Unsichtbare Ketten
Auszug aus
Der Einsiedler |
„Mir liegen Ketten
um den Hals die zwar unsichtbar sind, mich aber ins frühe Grab zerren.“ Mit umflortem
Blick betrachtete er seinen Besucher, in dessen Augen sich Überraschung
spiegelte: „Erzählen sie
weiter,“ forderte er Trapper auf. „Ihre ersuchte
Auskunft über Philip Brisco öffnete eine alte Wunde die nicht heilen will.“ „Alte Wunde?“
wiederholte Wachter. „Genau. Was ich
tat, vielmehr versäumte zu tun, läßt mir keine Ruhe. Der Fluch einer bösen
Tat wütet wie ein treibender Dorn in mir.“ Wachter behagten hochtrabende Redewendungen nicht. Er wollte sich verabschieden, doch
er blieb. Eine Ahnung bewegte ihn zu bleiben. Offensichtlich kannte Trapper
Brisco seit langem, somit hoffte er wichtige Auskunft zu erhalten. Weiterhin
verblüffte ihn sein sonderbares Gebaren. Der Mann, welcher als Stoiker
bekannt war, zeigte eine ungewohnte Erregung. Ein Erlebnis mit Philip Brisco
in der Wildnis Britisch Kolumbiens schien ihn ungemein erschüttert zu haben. Wachter blieb und
horchte zu; er bereute es nicht. Zwei Dinge offenbarten sich: Der Grund für
Trappers Seelenqualen und nicht weniger die Enthüllung Briscos, der
eigentlich Andria Rutali hieß, um den man einen weiten Bogen machte. Ohne
weitere Umstände begann Trapper von seinem unseligen Erlebnis zu erzählen. „Was dort geschah
kann ich einfach nicht vergessen. Noch heute hängt es mir wie ein Mühlstein
um den Hals. Wie Sie wahrscheinlich ahnen, möchte ich mein schmähliches
Verhalten von mir wälzen.“ „Also einen Alpdruck los werden,“ mutmaßte
Wachter. „Sie
drücken es treffend aus,“ lachte Trapper, wonach er fortfuhr: „Hier ist die
ungeschminkte Begebenheit, einschließlich meines schändlichen Verhaltens.“ „Aha, die
unsichtbaren Ketten, welche sichtbare Alpdrücke hinterließen,“ meinte
Wachter. „Schwere
Alpdrücke, aber nun zur Sache. Wie ich bereits erwähnte waren Cervoni und
Rutali verschworene Feinde, die aus leicht erklärbaren Gründen wie
Haimonskinder aneinander hafteten.“ Wachter schüttelte
verdutzt den Kopf: „Ich verstehe Sie
nicht ganz. Meinen Sie spinnefeind, doch unzertrennlich?“ „Ja, Stefan,
Haß ist ein starker Knoten, den
zuweilen nicht mal der Tod lösen kann. Mit der Furcht verhält es sich ebenso.
Ein Verhältnis bestand zwischen Cervoni und Rutali, welches man schicksalhaft
nennen darf. Rutalis Großvater wurde ein Unrecht von Cervonis Onkel getan,
das nur mit Blut vergolten werden konnte. Die Rutali Familie ernannte Andria
ihre Ehre wieder herzustellen. Das geschah nach der Vollendung seines
achtzehnten Lebensjahr.“ Wachter nickte: „Ich beginne zu
verstehen.“ „Nicht ganz, mein
Lieber, vielleicht nicht ganz,“ bemerkte Trapper lächelnd. „Inwiefern nicht
ganz?“ „Die Angelegenheit
besaß einen Haken. Der Auserwählte erwies sich als völlig untauglich den
Auftrag auszuführen. Wir reden hier von Andria Rutali, der sich jetzt Philip
Brisco nennt.“ Wachter warf einen
zweifelnden Blick auf Trapper: „Besiegte er nicht
eindeutig den Gegner, womit die Ehre der Familie wieder hergestellt wurde?“ „Dem Schein nach schon, doch in Wirklichkeit stieß er
den Ruf der selbstbewußten Sippe ins Tal der Schande. Man verzieh ihm nie.
Jung wie alt begannen ihre Dolche zu wetzen. Andria wußte Bescheid, er ahnte
das Schlimmste. Er änderte seinen Namen und hielt sich im Hintergrund.“ Wachter schüttelte verwundert den Kopf: „Es leuchtet mir nicht ein wieso ihm seine Leute Rache
schwören sollten. Schließlich erfüllte er den Auftrag pflichtgetreu nach dem
ungeschriebenen Gesetz Siziliens. In anderen Worten, ihr Ansehen und ihre
Ehre waren wieder hergestellt.“ Als Trapper Anstalten machte zu antworten, hob Wachter
abwehrend die Hand: „Warum hat Cervoni sich nicht gewehrt?“ Trapper lachte auf: „Cervoni war unschlagbar im Nahkampf, mit oder ohne
Waffe, so wurde der Polizei mitgeteilt. Aber hier ist des Pudels Kern. Rutali
forderte einen schwer behinderten Mann heraus, was gegen das ungeschriebene
Gesetz der Macchia verstößt. Wie ich bereits erwähnte wurde er meuchlings
ermordet. Solch eine heimtückische Tat konnte kein Sizilianer ungestraft
begehen. Eine Fehde mußte mit Würde und Anstand ausgefochten werden; so
fordert es das Gesetz der Ahnen.“ Wachter zog die Stirn in Falten: „Sie
bezeichneten den Zweikampf als vorsätzlichen Mord. Ist das immer noch Ihr Urteil?“ „Bis ins Grab. Aber die Anklage des Staatsanwalts hieß
Totschlag. Wissen Sie warum?“ „Wie kann ich denn.“ „Da Cervoni noch während der Untersuchung starb,
standen keine Zeugen mehr zur Verfügung; außer Andria Rutali.“ „Und Sie, vermute ich,“ bemerkte Wachter. Legte er den
Daumen auf eine offene Wunde? Es hatte den Anschein, denn tatsächlich zuckte
Trapper erschreckt zusammen als versuche er einem Hieb auszuweichen. Er
betastete mit beiden Händen seinen Nacken, zupfte hier, zerrte dort,
sichtlich bemüht etwas abzustreifen. Nach einem tiefen Seufzer machte er eine
erstaunliche Bemerkung: „Ich log die
Polizei an und verdrehte die Wahrheit vor Gericht. Der Staatsanwalt ermahnte
mich wahrheitsgetreu auszusagen. Auch der Richter machte mir Vorhaltungen
wegen meiner Zweideutigkeiten. Er warf mir vor etwas zu verschweigen und die
Tatsachen absichtlich zu verdrehen.“ „Taten Sie es?“
fragte Wachter. „Mehr als einmal,“ gestand Trapper. Mit erhobenem Kopf
meinte Wachter: „Warum, Ferdinand,
warum denn nur?“ Trapper sprang
auf, durchquerte das Zimmer, kam zurück und setzte sich wieder. Er war
offensichtlich tief bewegt. Sein Gesicht drückte Reue und Bedenken aus. Er
erzählte weiter: „Ich hatte den
Kopf verloren. Hätte ich der Polizei alles gesagt was ich wußte, säße Brisco
wahrscheinlich noch heute im Gefängnis. „Wie ich hörte saß
er zwei Jahre .“ Trapper nickte.
Eine brennende Frage lag Wachter auf der Zunge. Wollte Trapper, dem er nie
freundlich gesinnt war, sein nagendes Gewissen erleichtern, ihm abraten eine
Stelle bei der Salta Gesellschaft anzunehmen aus tieferem Bedenken? Wachter
war abermals bereit sich zu verabschieden, doch eine schicksalhafte
Bestimmung befahl ihm zu bleiben. Er stellte eine weitere Frage: „Was
geschah nachdem die Polizei erschien?“ Trapper
schüttelte mißbilligend den Kopf: „Sie
zerbrachen sich die Köpfe und waren unschlüssig was zu tun sei. Gewissenhafte
Zeugen waren nicht zu finden.“ „Außer Ihnen, wie ich verstehe.“ Irrte sich Wachter
oder zog Trapper abermals eine mißmutige Grimasse, die nicht schwierig zu
deuten war? „Was sagten Cervoni und Rutali?“ |