Der Ombubaum
Auszug aus Der Einsiedler |
Esteban
stand auf. Er ging bedachtsam hin und her, eh er vor einem Fenster stehen
blieb, welches einen unbehinderten Blick auf einen Park gewährte. Ohne sich
umzudrehen fragte er: „Armin,
warum kamen Sie zurück?“ Scheuer
hüstelte verlegen, er zögerte mit der Antwort. Esteban drehte sich um. „Sie
besuchten den Park nahbei.“ „Ja,
das tat ich.“ Das Gesicht des Bürgermeisters
verdunkelte sich, indessen er seinen Besucher betrachtete. Der Mann hat
schwere Sorgen, dachte er. Wie viele Missetäter schien Armin im Wettlauf mit
der Verzweiflung zu sein; in anderen Worten, ihn quält die Stimme des Kiaks,
der Klageruf eines Menschen der weder leben noch sterben will. Er nickte
seinem Freund zu: „Ich
kenne den Park gut. Er hat eine bewegte, aber düstere Vergangenheit,“
meinte er. Scheuer stimmte bei: „Ich entnahm so etwas
ähnliches angesichts der Ehrentafel am Eingang, die allerhand ahnen läßt.“ „Ich hoffe Sie fanden
Freude an der herrlichen Anlage.“ „Leidlich, muß ich sagen,“ gab
Scheuer zu verstehen. Esteban verstand, er
fragte: „Wollen Sie die traurige
Geschichte des Parks hören?“ „Gern.“ „Der Name der Anlage, wie Sie wahrscheinlich wissen, ist Fernando Aluino. So genannt nach dem
Eigentümer, der den Ausdruck prägte: Beerdige nie jemand unter einem
Ombubaum. Es waren seine letzten Worte, eh des Henkers Falltür herab fiel.“ „Er
war ein Verbrecher?“ fragte Scheuer verwundert. „Ein
Mörder, um genau zu sein.“ „Wie
kam er zu so einem bemerkenswerten Park?“ staunte Scheuer. „Er stammte
aus einer angesehenen
Adelsfamilie, die ihm das Anwesen
vermachte, welches er der Stadt hinterließ. Es geschah allerdings mit einem
Vorbehalt.“ Der
Bürgermeister zögerte. Scheuer forderte ungeduldig: „Reden Sie schon.“ „Die Anlage muß ewig
seinen Namen behalten.“ War das die einzige
Bedingung?“ „Soviel
ich weiß wollte Aluino eine Art Schrein aus seinem beachtlichen Grundstück
machen, aber des Henkers Tochter vereitelte es. Fernando Aluino war ein sehr
reicher, namhafter Minister, der seine Frau ermordete. Es geschah weit vor
meiner Zeit, doch die Angelegenheit erzeugte solch einen Wirbel, der
bis heute nicht abflaute. Seine mahnenden Worte gingen in die Zeitgeschichte
der Pampa ein.“ Wie bereits erwähnt war Scheuer ein
unverbesserlicher Zweifler, ebenso ein Spötter ohne Hemmungen. Diese Eigenschaften gestand er frank und frei, im
Gegensatz zu seinem Hang zur Bosheit, welchen er vor sich und der Welt
verbarg, vielmehr, versuchte zu verbergen. Felipe Esteban hatte viele Jahre mit
Scheuer Rinder und Schafe gehütet, man konnte sie getrost ein Herz und eine
Seele nennen, doch nur bis jetzt. Esteban besaß eine ritterliche Veranlagung.
Scheuers verbitterte Feindschaft gegen Steffi, die er Jezebel nannte,
widerstrebte ihm. Gewiß sie behandelte ihn nicht gerade edelmütig, aber das
geschah vor vielen Jahren. Den
Bürgermeister plagte ein heimlicher Verdacht, den er nicht an die große
Glocke hängen wollte. Waren tiefere Beweggründe der Anlaß Steffi auf sein Gut
einzuladen oder gehorchte er lediglich einer Laune? Das wird sich nie offenbaren, mutmaßte Esteban. Etwas schien
Armin an Aluinos
Schicksal zu fesseln, er forderte den Freund auf zu
erzählen. Der Bürgermeister zeigte sich ungewöhnlich verbindlich: „Was
geschah ist schnell gesagt. Gemäß den Jahrbüchern, wie den drei Pfennig
Schreibern, ertrank die Frau des Ministers im Parana. Es erwies sich als eine
glatte Lüge. Eines Tages meldete sich Aluino bei der Polizei, wo er in seinem
üblichen herrischen Ton nach dem Chef verlangte. Ihn forderte er zu einer
Unterredung unter vier Augen auf. Laut und deutlich gestand er: ‘Ich habe
meine Frau ermordet.’ Diese Verkündung wurde sogar von den Untergebenen
gehört. Ja, er hatte seine verhaßte Frau im Schlaf erstochen und sie heimlich
unter einem Ombubaum begraben.“ Scheuer
zuckte zusammen, während der Bürgermeister fortfuhr: „Er
zeigte der Polizei die Stelle wo sie in der Erde lag. Der Sarg wurde
gefunden, ausgegraben und geöffnet. Der Befund der Leichenschau hieß
eindeutig: Isabel Aluino verstarb an einem Messerstich, von ihrem Ehemann
Fernando ausgeführt. Aluino legte ein Geständnis ab, vollständig doch mit
einer Ausnahme.“ „Die
wäre?“ unterbrach Armin ihn aufhorchend. „Er
hüllte sich in grimmiges Schweigen was den Beweggrund zu dieser Tat betraf.
‘Erhängt mich und laßt alles andere sein,’ gab er zu verstehen. Die Obrigkeit
war bestürzt, schließlich konnten mildernde Umstände Geltung haben. Doch
Aluino wollte nichts davon hören: ‘Erhängt mich. Behaltet euren Segen für
euch,’ fuhr er die wohlmeinenden Fürsprecher an. Ihn quälte nur ein Gedanke.
’Warum, oh warum, begrub ich Isabel unter einem Ombubaum,’ jammerte er. ’Es
war der größte Fehler meines Lebens.’ Der Minister schien in ständiger Angst
zu leben, er alterte von Tag zu Tag. Etwas jagte ihm Schrecken ein.“ „Na ja, das ist verständlich unter den
Umständen. Der Mann hatte Grund sich zu sorgen,“ meinte Scheuer. „Wie meinen Sie das?“ Scheuer stutzte einen
Augenblick, eh er einlenkte: „Schließlich erwartete ihn
ein schlimmes Urteil.“ Der Bürgermeister
schmunzelte: „Ich
verstehe das anders.
Aluino verzehrte ein
nagendes Entsetzen, das nur die Schlinge des Henkers beenden konnte,
welche er freimütig einlud. Seine Worte: ’Henkt mich lieber heute als
morgen,’ klangen echt. Nein, er fürchtete sich vor etwas anderem.“ Scheuer
ahnte den Ursprung Aluinos Kummer, der einer quälenden Folter gleichkam.
Richtig, die nächsten Worte des Bürgermeisters bestätigten seine Vermutung.
Auf Scheuers Frage was Aluino so schrecklich zusetzte, antwortete Esteban: „Der unheilvolle
Schrei des Kiaks. Die
Verzweiflung die Ihnen ja bekannt ist,“
erklärte er. Zuckte
Scheuer unwillkürlich zusammen? Ohne den leisesten Zweifel tat er es. Man
konnte Esteban kaum einen Wortklauber nennen, streitsüchtig war er auch
nicht. Allerdings besaß er ein treffliches Verständnis für die Menschennatur.
Indessen er sich zurücklehnte, betrachtete er Scheuer erwägend: „Armin,
wenn ich mich nicht irre, suchen Sie meinen Rat.“ „Ja,
das tu ich.“ „Nun,
hier ist er.“ „Ich
höre.“ |