Jürgen Thorwald Auszug aus Pangnirtung |
Thorwald seufzte unwillkürlich. Sein Besucher tat ihm
leid, er hatte den Zauber eines Mannes verloren. Die Unterredung ging zu Ende
eh sie in Fahrt g eriet. Der Bürgermeister fand von jeher wenig Gefallen an
dem ungeselligen Deutschen. Seine Abneigung wuchs jetzt beträchtlich an. Er
hätte am liebsten kehrt gemacht, aber die Furcht vor der bissigen Zunge der
Lehrerin hielt ihn davon ab. Er kam zur Sache: „Jürgen, Sie laufen ins offene Messer.“ Thorwald verstand: „Es wäre nicht das erstemal,“ entgegnete er wegwerfend. Der Mann vom Amt fand diese Antwort samt dem Ton
verletzend. Seiner Meinug nach gebührte der Obrigkeit ein achtungsvolleres
Entgegentreten. Er nahm eine amtliche Haltung an und wies den kleineren
Jürgen barsch zurecht: „Sie betrachten die Sache zu herablassend,“ schalt er. Thorwald schnitt eine Grimasse: „Sache, welche Sache?“ wiederholte er. Der Bürgermeister kam sich veralbert vor: „Die
Angelegenheit mit Erna,“ schimpfte er. „Meiner
Frau?“ „Er schnaubte
mißbilligend, während er aus
dem Zimmer stürmte. Die Tür fiel laut
hinter ihm zu. Folglich hörte er wohl nicht Jürgens Worte: „Da hat man es wieder, ein neuer unversöhnlicher
Feind.“ Thorwald war weder wohlhabend noch berechnend. Das
gescheiterte Unternehmen hatte so ziemlich seine Mittel verschluckt. Arbeit
über dem sechzigsten Breitengrad war leicht zu finden; jedoch nicht für ihn.
Das gefürchtete Brandmal Einzelgänger haftete an ihm. Er ist ein Störenfried,
hieß es von Fort Norman bis Yellowknife. Jürgen befand sich in einer Zwickmühle. Bleiben
erschien ihm genau so widerwärtig wie fortziehen. Indessen er mit einer beklommenen Unentschlossenheit
rang, griff das Schicksal ein; die Polizei erschien, vielmehr der hiesige
Schutzmann. Die Verlegenheit stand ihm im Gesicht geschrieben, wie auch
Zeichen des Widerwillens. „Aha, der Bürgermeister blieb nicht lange untätig,“
mutmaßte Thorwald. Nach einer kurzen verbindlichen Unterhaltung,
verkündete der Polizist: „Ich will nicht lange hinter dem Busch halten, mein
Besuch bezieht sich auf ihre Frau. Mir wurde aufgetragen nach ihr zu
forschen.“ Thorwald lag es auf der Zunge ihm eine unbequeme
Tatsache zu erklären. Doch eine innere Stimme gebot ihm sachte voran zu
gehen. „Was möchten Sie wissen?“ Der Polizist nahm Anstoß an den schroffen Worten, sie
verletzten sein Geltungsbedürfnis. Er entnahm seinen Taschen ein Merkbuch,
zückte einen Schreibstift und verlangte in einem befehlshaberischen Ton zu
wissen: „Wo ist Ihre
Frau?“ „Gute Frage,
Herr Amtmann, doch leider kann ich sie nicht beantworten.“ „Heißt das
Sie weigern sich es zu tun?“ Thorwald
schüttelte den Kopf: „Keineswegs.“ Rickle nahm
die Haltung eines erbosten Befehlshaber an: „Wie ist das
zu verstehen?“ „Ich weiß
nicht wo Erna ist.“ Rickles Gesicht verwandelte sich in eine Maske des Unglaubens. Er, wie die meisten Dorfbewohner, wußten von dem Unternehmen der Thorwalds. Sie hatten eine Fahrt auf dem Nahanni geplant, bis hinauf zu den großen Fällen. Die Gemeinde leistete beträchtlichen Beistand. Sie lieferte Ausrüstungen, wie Zelte, Boote, plus andere Notwendigkeiten. An herzhaften Ermunterungen fehlte es auch nicht. Schließlich hatten sich die Thorwalds verpflichtet kostbare Funde, Bilder und Zeichnungen zu vermitteln. Beide durften sich fähige Maler nennen. Wenigstens drei Monate sollte die Reise in Anspruch nehmen. Nach einem Monat kam Jürgen ohne seine Frau zurück; den Gerüchten nach. Kein Wunder wurden Fragen gestellt; Antworten jedoch waren dünn gesät. Der Polizist schüttelte den Kopf, mehr innerlich als äußerlich. „Der Mädchenname Ihrer Frau ist Fuchs, wie ich
verstehe.“ Jürgen kräuselte die Stirn, er musterte den Besucher
mißtrauisch. „Das stimmt,“ kam eine zögernde Antwort. „Aber warum
die Frage?“ „Norbert Fuchs, ihr Vater, hat eine Vermißtenanzeige
eingereicht. Er sagte unter anderem, daß er schon seit Monaten nichts mehr
von seiner Tochter hörte.“ Thorwald schnitt eine Grimasse, sein anmaßendes Wesen
drang an die Oberfläche. „Sie sagten unter anderem,“ spöttelte er. Rickle verzog sein Gesicht widerwillig. Er machte
Anstalten den jungen Mann zurecht zu
weisen, doch Jürgen kam ihm zuvor: „So, Ernas Vater hat seit Monaten nichts von ihr
gehört. Nun, ich auch nicht.“ Der Polizist
schaute veblüfft drein. „Wie ist das
möglich?“ wollte er wissen. Thorwald
erklärte: „Ganz einfach. Sie kam mit mir vor etwa zwei Monaten
zurück. Noch am selben Tag verließ sie Fort Simpson sehr erregt und erbost. Der Amtmann ließ wissen, daß viele Dorfbewohner gewillt
seien auf einem Stoß Bibeln zu schwören, er sei ohne seine Frau zurück
gekehrt. Jürgen rümpfte die Nase: „Stoß von Bibeln, ha, hoffentlich verbrennen die braven
Leute sich nicht ihre Hände dabei.“ Der Polizist
mahnte: „Leichtsinn ist
hier fehl am Platz, im Hinblick von gewissen Tatsachen.“ „Oh, welche
denn?“ „Diese Zeugen sind
teilweise bedeutende Persönlichkeiten,“ wurde Jürgen
belehrt. Er verstand die Anspielung, welche er belächelte. In
seiner gönnerhaften Art musterte er Rickle mit einem Auge widerwillig, mit
dem anderen spöttisch. Seine Haltung ließ durchblicken, daß er genug hatte
von den versteckten Drohungen sowie dem Versuch ihn einzuschüchtern. Jürgen
faßte zusammen: „Wie erwähnt
kam meine Frau mit mir zurück.“ Gerüchten nach verhielt es sich nicht ganz so. Nur
Jürgen, der Gatte, kam an; seine Frau blieb verschwunden. Fragen nach ihrem
Verbleib wurden einsilbig beantwortet: „Sie ist
verreist,“ hieß es. „Wohin
denn?“ „Das geht
euch nichts an,“ kam eine unwirsche Antwort. Bis dahin sah Wachtmeister Klein keinen Anlaß zur
polizeilichen Einmischung. Auch nicht nachdem Norbert Fuchs, Ernas Vater,
angeblich eine Vermißtenanzeige einreichte, rührte er einen Finger. „Laßt sie tuscheln,“ sagte er zu Rickle, der emsig die
Lasterzungen anstachelte. „Wann findet
die Untersuchung statt?“ Es
wurde der Tag genannt. „Es wäre in
jeder Hinsicht am besten wenn Sie erscheinen,“ fügte der Wachtmeister hinzu. „Das ich
freiwillig erscheine?“ „Ja. Die bösartigen Verdächtigungen gegen Sie würden
dann wahrschinlich beseitigt sein. Folglich wären Sie, wie auch wir, besser
dran.“ Thorwald
verstand von Anfang bis zum Ende. „Ich werde
dort sein,“ gab er zu verstehen. Nachdem
Jürgen allein war begann er nachzudenken. „bloße Worte. Thorwalds Hang zum Übermut gewann die
Oberhand. Besser gesagt, seine Neigung Widerspruch mit Gespött zu vergelten,
wurde erweckt. Er verübelte dem Doktor seinen berechtigten Zweifel, folglich
fühlte er sich veranlaßt die vermeindlich schäbige Gesinnung des Arztes
bildhaft darzustellen. Thorwald verstand es mit höflichen Worten ätzend zu
rügen. Er wollte eben mit einer zünftigen, lehrhaften Erzählung beginnen, als
es an der Tür pochte. Es war Rickle, der Schutzmann. Er warf sich in die
Brust, schaute strafend auf Thorwald und sagte mit anklagender Stimme: „Wie ich höre wollen Sie morgen die Gegend verlassen.“ „Vor Sonnenaufgang.“ „Wohin geht es?“ „Immer der Nase nach.“ |